Tag 9: Kucki, die Alpenkönigin
Der nächste Tag beginnt mit einem letzten Versuch das Matterhorn in voller Pracht zu sehen. Es geht etwas besser als am Abend, allerdings bekomme ich kein komplett wolkenfreies Foto. Vielleicht beim nächsten mal... . Anschließend stürze ich mich in die Abfahrt, die mich binnen einer knappen Stunde zurück in die Weinbauregion bringen. Die letzten Kilometer im Tal der Matter Vispa weht mir ein lauwarmer, aber kräftiger Wind entgegen, was meine Bremsen dankend zur Kenntnis nehmen. Nachdem sich schon ein Weilchen Weinberge an den Hängen finden, kann ich bald wieder in das Rhonetal einbiegen. Weiter geht es auf der breiten Bundesstrasse. Nach einer Weile Weißt mich eine Plakatwand am Strassenrand auf den an jenem Tag stattfindenden Ringkuhkampf in der Gemeinde Raron hin. Mein Reiseführer hatte den Besuch einer solchen Veranstaltung nahegelegt, also mache ich mich auf die Suche nach der etwas versteckt gelegenen "Arena Goler", in der das Spektakel stattfinden soll. Leider lässt die Beschilderung etwas zu wünschen übrig, weshalb ich ein paar Kilometerchen zurück fahren muss, da ich die Abzweigung zur Arena im ersten Anlauf verpasst habe. Offensichtlich ist das Ereignis in der einheimischen Bevölkerung wohl so bekannt, dass es keiner Beschilderung bedarf. Die Freiwillige Feuerwehr versucht der Parksituation Herr zu werden. Ich löhne 10 franken eintritt und suche mir in dem mit wohl einigen Hundert bis wenigen Tausend Zuschauern besetzten Amphitheater. Im Ring finden gerade Vorrundenkämpfe in einer leichteren Gewichtsklasse statt.
Kurz zu den Spielregeln des Ringkuhkampfes - jedenfalls habe ich sie so verstanden - : Zunächst werden ein gutes Dutzend Rindviecher in den Ring geführt. Nachdem sich die Tiere ein Weilchen beschnuppert haben, suchen sich die Tiere einen Kampfpartner und beginnen sich paarweise - unter Aufwirbelung von spektakulären Staubwolken - durch den Ring zu schieben. Zum Teil verhaken sie sich dabei so fest mit den Hörnern, dass es mehrerer kräftiger Helfer bedarf die Tiere wieder zu trennen. In der Regel erkennt ein Tier irgendwann, dass es unterlegen ist, und nimmt reisaus, was dann zum sofortigen ausscheiden führt, d.h. das Tier wird dann aus dem Ring geführt. Stehen Tiere unbeteiligt in der Ecke rum, so gibt das Kampfgericht entweder die Anweisung sie - sofern vorhanden - mit anderen ebenfalls rumstehenden - Tieren zusammenzuführen, oder sie aus dem Rennen zu nehmen. Dies geht solange bis nur noch eine handvoll Tiere übrig ist, die sich dann für die nächste Runde qualifiziert haben, bzw. im Finale dann für die Podiumsplätze. Ich schaue mir das Spektakel ein ganzes Weilchn an und bekomme so sogar noch das Finale der ersten Geswichtsklasse mit.
Besorgte Tierfreunde seien übrigens beruhigt: Die Kämpfe entsprechen bei den Eringer-Kühen ganz normalen Rangordnungskämpfen, wie sie auf jeder idyllischen Alpenwiese stattfinden. Es wurde kein Tier verletzt. Schaden entstand lediglich an dem 7,5-Tonner, auf dessen Ladefläche das Kampfgericht Platz genommen hatte, als ein erboster Landwirt unter wüsten Beschimpfungen, die hier aus Gründen des Jugendschutzes nicht im Wortlaut wiedergegeben werden sollen, mit seinem Treibestock auf die Frontverkleidung einzuschlagen begann. Vielleicht hätte man ihm den Knüppel doch nicht wiedergeben sollen, nachdem er ihn wenige Minuten zuvor - seine Kuh aus dem Ring führend - in hohem Bogen in Richtung LKW ins Publikum geschleudert hatte? Der gute Mann hatte irrtümlich angenommen, dass sein Tier vom Kampfgericht aus dem Rennen genommen worden war.
In Anbetracht sich ankündigenden Regens mache ich mich dann nach dem finale der ersten Gewichtsklasse auf die Weiterreise. Der Wind bläst weiter kräftig von hinten und lässt in Kombination mit dem guten Asphalt der Nationalstrasse 9 und dem Trainingseffekt aus den Anstiegen der letzten Tage das Tacho beständig zwischen 30 und 40 km/h pendeln, was ein zügiges klettern des Kilometerstandes zur Folge hat. Und dann urplötzlich ist auf einmal alles anders. In Sierre (zu deutsch "Siders") begrüßen mich auf einmal "Boulangerien" am Strassenrand, und auch die Architektur mutet auf einmal sehr französisch an - was in Städten größer 20.00 Einwohner nicht unbedingt ein Kompliment sein muss (mangels eigener Erfahrungen mit Frankreich verlasse ich mich hier einmal auf das, was man aus Erzählungen und Schulbüchern kennt...). jedenfalls wirkt alles urplötzlich nicht mehr Alpenländisch, auch wenn rechts und links des des Rhonetals immernoch ansehnliche Höhen erreicht werden. Die unteren Teile des Tales werden nun von Fendant und Dôle bedeckt, und die fortgeschrittene Jahreszeit lädt zum probieren ein.
Gegen Abend erreiche ich rechtzeitig das angestrebte Etappenziel Sion, die Kantonshauptstadt des Wallis. Ich lasse die historische Altstadt zunächst links (bzw. rechts) liegen und quartiere mich auf dem Campingplatz "Les Îles" in einem Naherohlungsgebiet etwas außerhalb der Stadt ein. Mit den doch - wie ich erschreckt feststellen muss - schon sehr eingestaubten Rudimenten meiner eindrucksollen Französischkarriere (neben Physik das einzige Fach in dem es mir jemals gelungen ist eine 6 zu schreiben - als ich dann irgendwann bei den Klausuren die Fragen auf dem Aufgabenzettel nicht einmal mehr ansatzweise verstand, habe ich das Fach abgewählt...) gelingt es mir immerhin die junge Rezeptionistin so zu beeindrucken, dass sie mir ein Plätzchen für 2 Nächte zuweist. Nach einem verdienten Nachtmahl bette ich mich in meinen Schlafsack. Es setzt wieder regen ein. weiter...