Epilog: Erholung in der Lagunenstadt
Am nächsten Morgen rolle ich vom Castell San Pietro hinab richtung Puorta Nova und besteige am noch jungen Vormittag einen Regionalzug richtung Venezia Santa Lucia. Keine zwei Stunden später rollt dieser über die Ponte della Liberta nach Venedig hinein. Nun gilt es zunächst ein Bett für mich und einen Parkplatz für Speedy zu finden. Um dem ganzen ein wenig Spannung zu verleihen habe ich auf eine telefonische Vorreservierung verzichtet und beschlossen es auf gut Glück zu probieren. Das Hostel der ersten Wahl ist das Ostello Santa Fosca, das glücklicherweise nicht allzuweit vom Bahnhof entfernt liegt, so dass es damit getan ist, die ca. 40 Kilo Speedy über 4 Brücken zu wuchten. Leider komme ich genau 5 Minuten nach Schließung der Rezeption, so dass ich zunächst vor verschlossener Tür stehen bleibe und somit im Ungewissen bleibe, was mein Unterkommen anbelangt. Da es ruhig ist, mit Ausnahme des Müllabfuhrschiffs und weniger als einer Hand voll Hostel-Bewohner niemand den Weg in den abgelegenen Hof am Ende einer Sackgasse finden, stufe ich das Risiko, dass irgendwer meine durchschwitzten Fahrradtrikots klaut (die ich im Übrigen als ziemlich brisante Fracht einstufe, immerhin könnte man sie als Biowaffen missbrauchen...) als überschaubar ein und nutze die Mittagszeit, um Speedy mal eben allein zu lassen und im nächsten Supermarkt ein wenig Verpflegung zur Überbrückung des größten Mittaghungers zu besorgen. Immerhin lohnt sich das lange Warten, und ich bekomme tatsächlich noch ein preiswertes, aber dennoch einigermaßen sauberes und bequemes Bett für die Nacht.
Nach erfolgreichem Check-in kann ich mich dann Venedig endlich unbeschwert hingeben und mich – abgesehen von den touristischen must-have-seens ohne weitere Verpflichtungen für den Rest des Tages - durch das schier unüberschaubare Gewirr an kleinen verwinkelten Seitengassen, die den Eindruck vermitteln, noch nie von einem Touristen gefunden worden zu sein einerseits, und von babylonischem Sprachgewirr eingelullten "Hauptstraßen" andererseits treiben lassen. Trotz der Autofreiheit der Lagune , kann man auf letzteren ohne weiteres von "Verkehrsproblemen" sprechen. Da macht es durchaus schon Sinn, sich zur Nahrungsaufnahme in eine im Canale Grande endende Gasse der ersten Art zurückzuziehen (wobei es auch auf diesem ein Verkehrsproblem gibt...). Nicht nur ich, sondern auch mein Kamera fühlt sich an diesem ruhigen Örtchen wohl, letztere sogar so wohl, dass sie sich entschließt noch ein wenig länger zu bleiben. Als ich sie ca. 10 Minuten nach Beendigung meiner Mittagspause an gleicher Stelle abholen will, hat am Ende der Gasse ein imposantes Motorboot angelegt. Der Fahrer, sonnenbebrillt, gut betucht und einige hundert PS am Gashebel - kurz: Typ venezianische Mafia – begrüßt mich in ziemlich harschem Tonfall mit den Worten "What are you looking for?", was ich im ersten Moment als "was hast Du in MEINER Gasse verloren" interpretiere. Ich sehe mich gedanklich schon mit einem Betonklotz am Bein im Canale Grande versinken, doch überraschenderweise bekomme ich auf meine Antwort, dass ich meine Kamera kurz zuvor am Ende der Gasse liegen gelassen hätte selbige unvermittelt zurück und ganz ohne Zahlung irgendwelcher Schutzgelder mit dem Leben davon.
Am Nachmittag versuche ich am Canale Grande, hier und dort ein paar Blicke auf die Rennen der Regatta Storica zu ergattern. Nach einer Parade mit historischen Booten treten am Nachmittag die Renngondeln zum Wettkampf an und es wird gestechpaddelt was das Zeug hält. Am frühen Abend gibt es in der Trattoria "Antica Torre" sehr leckere Spaghetti in Muschelsoße, wobei ich von den Muscheln einfach in Anbetracht der Chemiefabriken am landseitigen Ende der Ponte de la Liberta und des etwas fauligen Geruchs in den Seitenkanälen des Canale Grande einmal hoffe, dass sie nicht in der Lagune aufgewachsen sind. Zur Sicherheit kippe ich zur Desinfektion zwei Krügchen von dem auch hier wieder sehr leckeren Vino del Casa drauf. Mit den offenen Hausweinen haben die Italiener es echt drauf...
Den Abend lasse ich auf der Piazza San Marco ausklingen, wo es zu späterer Stunde nicht mehr ganz so trubelig, wenn auch immernoch lebhaft zugeht. Der angenehm laue Sommerabend und die nette Stimmung mit klangvoller Untermalung der Musiker aus den Straßencafes laden noch ein wenig zum Verweilen ein, bevor ich mich mit dem Vaporetto - dem Wasserbus, der in Venedig das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs bildet – auf den Weg zurück zum Hostel mache.
Am nächsten Tag tuckere Ich den Canale Grande noch einmal mit der Vaporettolinie 1 entlang, um mir die prunkvollen Palazzi nochmal in Ruhe im Tageslicht anzuschauen. Dieses Mal fahre ich sogar bis zur Endstation "Lido", die auf einer der die Lagune von der Adria abtrennenden langgezogenen Inseln liegt. Auf einer mittäglichen Wanderung begebe ich mich bis zur Spitze der langen Mole an der Hafen- und Laguneneinfahrt und lasse mir nach für einen Norddeutschen langen Abstinenz endlich mal wieder fischig-salzige Meeresluft um die Nase wehen, um mich schon einmal auf meine Rückkehr an die Ostsee vorzubereiten ;-). Ich stelle dabei fest, dass es zwar einfach ist, auf die etwa 2x2x2m großen Betonwürfel, die die Hafenbefeuerung wohl vor allzu aggressiven Adriastürmen schützen sollen, heraufzuklettern; das herunterkommen ist dann aber doch gar nicht so einfach. Irgendwann finde ich dann aber doch einen Weg über die vorgelagerten Tetrapoden abzusteigen und kann mich somit am Nachmittag mit dem Vaporetto auf den Rückweg in die Innenstadt machen. Ich steige am Markusplatz aus, um noch ein wenig Sightseeing in Angriff zu nehmen. Zunächst bewundere ich in der Markuskirche die komplett mit gut 4200qm Blattgold überzogene Deckenkonstruktion, anschließend genieße ich eine längere Zeit den Ausblick vom knapp 100m hohen Campanile di San Marco. Am Nachmittag streife ich dann noch ein wenig durch das absolut chaotische Gewirr an Gassen, wobei ich heilfroh bin, dass ich mittlerweile in einen detailierten Stadtplan investiert habe, der auch die kleinsten Seitengässchen beim Namen nennt. Der etwas gröbere Stadtplan in meinem Reiseführer hatte zuvor immer wieder zu massivster Verwirrung und Verirrung geführt, da man in den verwinkelten Wegen doch irgendwie sehr schnell das Gefühl für die Richtung in die man läuft verliert. Die einigermaßen flächendeckend vorhandene Beschilderung zu den 3 wichtigsten Zielen ("Ferrovia" (=Eisenbahn), "San Marco" und "Rialto") half nur bedingt weiter, da man zum Teil das Gefühl hat, dass gerade noch Bahnhof und Rialto nach links zeigten, nun nach rechts, und im nächsten Moment das eine nach links und das andere nach rechts. Kurz darauf stand man dann einmal wieder am Abschluss einer Sackgasse an irgendeinem Kanal ohne Querungsmöglichkeit. Dies kommt zwar auch jetzt mit Stadtplan immernoch immer wieder vor, aber jedenfalls kann man nun dann recht einfach herausfinden, wo man sich verlaufen hat. Auf den kleinen Brücklein die man alle paar Meter queren muss, kann man fast überall die Steuerkünste der Gondolieres bewundern, die ihre langgezogenen Boote doch sehr geschickt um die engen Ecken und zum Teil auch noch aneinander vorbei bugsieren müssen. Am späteren Abend geht es dann noch ein letztes mal mit dem Vaporetto den gesamten Canale Grande auf und ab, was auch im Dunkeln beeindruckend ist. Ich verbringe wieder noch ein wenig Zeit auf dem Markusplatz bevor ich zu späterer Stunde in mein Hostelbett sinke. weiter...