Tag 6
Der erste März ist meteorologischer Fruhlingsanfang. Dies beweist, dass Meteorologen eindeutig mehr Ahnung von Jahreszeiten haben als Kalendermacher. Erstmalig gesellen sich nämlich an jenem schönen Fruhlingstag größere blaue Flecken zwischen die auch gar nicht mehr grauen Wolken und auch von der Temperatur her lässt es sich aushalten, kurz: es erweist sich als strategisch günstig, sich die Eiffelturmbesteigung für genau diesen Tag aufgespart zu haben. Mein Hostelmietvertrag ist an jenem Morgen ausgelaufen, und auf Empfehlung eines Freundes plane ich die letzte übernachtung im Woodstock zu verbringen. Nicht dass ich mit dem Square Coulaincourt unzufrieden gewesen wäre, ganz im Gegenteil, aber Abwechslung muss eben auch mal sein. So habe ich also mein gesammtes Gepäck dabei, als ich mich in die halbstündige Warteschlange am Süpylon einreihe. Was ins Flugzeug darf, darf auch auf den Eiffelturm, und da mein Rucksack ja handgepäcktauglich ist, habe ich an der Sicherheitskontrolle auch keine Probleme. Nach ein paar Treppen, die einem Dachgeschossbewohner aus Überzeugung natürlich nichts anhaben können, erreiche ich zunächst Zwischenebene 1, kurz darauf Zwischenebene 2 auf etwa halber Höhe. Von dort geht es nur noch per Aufzug weiter, da wohl im Laufe der Zeit irgendwie zu viele Leute die Möglichkeit genutzt haben, sich ihres Lebens auf diskrete Weise zu entledigen, indem sie fur den Rückweg den Luftweg nahmen. Keine Ahnung warum man bis Ebene 2 noch zu Fuß kommt. Ich denke auch 150m Fallhöhe sollten eine todsichere Angelegenheit sein. Der Sardinenbüchsengedächtnisaufzug katapultiert mich in Bruchteilen einer Minute in stattliche 300m über Grund, von wo aus man zugegebenermaßen einen ziemlich imposanten Blick über Paris hat, der seine 7,60 EUR allemal mehr als wert ist. Schön auch, dass mich eine Hinweistafel auf der Aussichtsplatform informiert, dass ich mein ursprungliches Reiseziel eigentlich nur ganz knapp verfehlt habe:
Für den Abend habe ich dann noch ein Date mit Mary. Mary wurde mir von dem gleichen Freund empfohlen, der auch den Tipp mit dem zwischenzeitlich bezogenen Woodstock gab. Da das Woodstock auf den ersten Blick recht sympathisch wirkte, wird wohl auch Mary lohnenswert sein, so denke ich mir. Zudem ist der Treffpunkt mit Mary ganz in der Nähe des Woodstocks, nämlich auf einer Verkehrsinsel vor dem Moulin Rouge. Im Gegensatz zu den Damen in besagtem Etablissement, ist Mary allerdings eher jahreszeitenangemessen gekleidet. Mary ist im übrigen das weibliche Pendant zu Peter (wer nicht weiß wer Peter ist, hat offensichtlich nicht aufgepasst und geht bitte zurück hierher). Ich richte ihr zunächst die mir aufgetragenen Grüße besagten Freundes aus, an den sie sich zu meinem Erstaunen sogar noch erinnern kann. Er und sein Mitreisender scheinen also einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben (“Oh! These two crazy guys, yes, of course I remember...”), und als in folgendem kurzen Small-Talk noch auffliegt, warum ich hier bin (und nicht in Dublin), hält sie glaub ich nun endgültig ALLE Kieler Oz-/Met-Studenten für total verrückt, kurz gesagt: ich bin zielgruppenkonform und darf an Ihrer Führung über den Montmartre teilhaben. Mary macht ihre Sache ebenso gut wie Peter, vielleicht sogar noch ein Quäntchen besser. So lernen wir in den kommenden zwei Stunden die entlegensten Gassen des Montmartre kennen, von Van Goghs Domizil über die letzte verbliebene Windmühle der Stadt, bis wir schließlich am Ende wieder vor jenem beeindruckenden Panorama stehen, auf dessen Anblick Ihr liebe Leser dieser Zeilen zu Beginn dieses Berichts schon einmal vertröstet wurdet. Nun ist es soweit:
Der laue Frühfrühlingsabend, die belebten Treppenstufen, und die Aussicht veranlassen mich, meine ursprüngliche Abendplanung fallen zu lassen, mir im nächstgelegenen Shop ein Fläschchen Rotwein und ein Baguette zum knabbern zu holen, und zu den Klängen der Akustikgitarre, die einer der zahlreichen anderen Anwesenden glücklicherweise mitgebracht hat, und die er noch glücklichererweise auch sogar recht vernünftig zu spielen und mit Gesang zu unterlegen im Stande ist, meinen Blick noch ein ganzes Weilchen über das vor mir liegende Lichtermeer schweifen zu lassen. Irgendwann wird es mir dann doch zu frisch, und so mache ich mich noch einmal auf den Weg in die Innenstadt, um noch ein letztes Mal das lebhafte Treiben auf dem hellerleuchteten Champs-Elysees zu genießen. weiter...