Tag 1
Sodann, nachdem eine Reihe von engsten VertrautInnen mich am Vortage des Abfluges davon überzeugen konnten, dass eigene Erfahrungen durchaus gezeigt hätten, daß eine Boeing 737 wirklich fliegen kann, mache ich mich in den frühen Morgenstunden des 25. Februars mit meinem handgepäcktauglich bepacktem Rucksack auf den Weg zum Kieler Hauptbahnhof, um meinen 7:21er ICE nicht zu verpaßen. Der aufmerksame Leser wird an dieser Stelle bemerken, dass ich vormals von 7:12 Uhr Abfahrtszeit sprach. Auch mir fällt dies gegen 7:08 Uhr ein. Der Bahnhof ist zu jenem Zeitpunkt noch etwa einen Kilometer Fußmarsch entfernt. als ich ihn um 7:13 Uhr hächelnd und durchgeschwitzt erreiche, sehe ich grade noch den Fallblattanzeiger den soeben in der ersten Kurve verschwundenen ICE in Richtung Zürich ausblenden. Mich beschleicht der Gedanke, dieses könne ein negatives Omen sein, und das Schicksal wolle mich absolut daran hindern, am Nachmittag in Bremen das Flugzeug zu besteigen. Nichtsdestotrotz besteige ich den am Nachbargleis wartenden Regionalexpress richtung Hamburg. Dieser erreicht den glücklicherweise nur mit jeweils einem Fernverkehrs-Richtungsgleis ausgestatteten Bahnhof Hamburg-Dammtor ziemlich pünktlich, und somit hatte sich der Zug auf der Hamburger Verbindungsbahn direkt vor dem von mir gebuchten InterCity Richtung Ruhrgebiet via Bremen eingereiht, und verhindert somit schlimmeres. Nachdem das Gleis Richtung "überallhin außer Zentral- und West-Schleswig-Holstein" geräumt und der IC eingefahren ist, mache ich es mir in meinem komfortablen Lila-Sessel bequem und werde kurze Zeit später von einer leistungsstarken E-Lok der Baureihe 101 mit 200km/h durch die Nordheide gezogen. Eine gute Stunde später befinde ich mich in der allmählich aus dem Wochenende erwachenden Bremer Innenstadt. Ich schlage noch etwas Zeit in der Fußgängerzone tot, besuche die Bremer Stadtmusikanten und mache mich dann um Mittag herum mit der Straßenbahn auf den Weg zum Flughafen. Dort verweile ich noch einige Zeit bis zur Öffnung des Checkins auf der Dachterrasse und beobachte das Treiben auf dem Rollfeld. Auch der Betriebsausflug der Flughafenfeuerwehr, die meint, eine halbe Stunde vor Abflug noch einmal Ihren beeindruckenden Fuhrpark über die Taxiways jagen zu müssen, um dann besorgniserregend lange in Startbahnnähe auf irgendwas zu warten, dann aber doch nach einer Viertelstunde unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, kann mich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr davon abbringen, mich kurz darauf zum Gate fur Flug FR2907 mit Flugziel grüne Insel zu begeben. Ich passiere als einer der ersten die Sciherheitskontrolle, und schmökere in der Wartehalle noch etwas in der mitgeführten Irlandausgabe des Baedeckers. außerdem erwerbe ich im einzig vorhandenen Shop noch ein Fläschchen Wasser. Nach geraumer Zeit öffnet die Passkontrolle, und mein Reisepass qualifiziert mich zur Ausreise aus Schengen-Land. Ich reihe mich in die Quick-Checkin-Queue ein, und warte...
Der geneigte Leser wird sich vielleicht mittlerweile fragen, warum ich hier in Details abschweife. Ihm sei gesagt, dass dies nur dem Aufbau des Spannungsbogens dienen soll. Sollte er an dieser Stelle darüber nachdenken, die Lektüre abzubrechen und lieber zu irgendeiner Porno-Seite zu wechseln, so will ich ihn hiervon nicht abhalten. Alle anderen seien schonend drauf vorbereitet, dass die Handlung gleich eine gravierende Wendung nehmen wird. Vorher kommt aber noch Linda ins Spiel. Obgleich ich mich tendenziell eher der schüchterneren Zunft zuordnen würde, nötigt mich irgendetwas Linda anzusprechen. Ob es einfach die innere Anspannung ist oder doch eher die spontane Empfindung tiefster Sympathie, kann ich im Nachhinein nicht sagen. Jedenfalls wird Linda spontan zum Händchenhalten fur den Erstflieger rekrutiert. Sollte sie sich dabei bewähren, so spräche von meiner Seite auch nichts dagegen, ihr nach erfolgreicher Landung noch den Vorschlag zu unterbreiten, den Abend bei einem Guinness in irgendeinem Pub in Temple Bar ausklingen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt setzt sich die Warteschlange in Bewegung. Kurz darauf erreichen Linda und ich das Ende der Warteschlange. Eine Glastür trennt uns noch vom Rollfeld, dahinter noch eine Versorgungsstraße von der Fluggasttreppe der bereitstehenden 737. Linda ist als erstes dran, nach Vorlage von Flugticket und Bordkarte ist sie legitimert besagte Glastür zu passieren. Fest damit rechnend, das Gespräch auf der anderen Seite fortzusetzen, wartet sie dort auf mein Nachkommen. Währendessen kontrolliert die freundliche Torwächterin mein Ticket. "Und dann bräuchte ich noch ihre Boarding Card...". Urplötzlich sagt mir irgendwas, dass mir irgendwas fehlt. "Wie Boarding Card? ausdrucken? Beim online Checkin? 4 Tage vor Abflug? Und nu?...". Irgendwie beinhalten die Antworten auf meine Frage Dinge wie "Checkin schon geschlossen" und "nicht mitfliegen". Völlig desorientiert stehe ich wenige Minuten später außerhalb des Sicherheitsbereiches.
Nachdem ich mich zumindest teilweise gefangen habe, füttere ich den Münzfernsprecher in der Abflughalle des Terminals mit meinen letzten Münzen. Die Leute, die mich am Tag zuvor unter Androhung von Sanktionen noch mühselig davon überzeugt haben, den Flug entgegen aller Bedenken anzutreten, überzeuge ich davon, dass ich mittlerweile sogar überaus gerne mit Linda zusammen den Flieger bestiegen hätte. Nachdem dies geregelt ist, begebe ich mich zwecks Nachdenkens zurück auf die Dachteraße und winke dem soeben auf dem Rollfeld ablegenden Flugzeug hinterher. Dass mir auf der nur spärlich besuchten Aussichtsterasse eines 300 km von meiner Heimat entfernten Regionalflughafens ein Bekannter aus meiner Schulzeit begegnet, verwirrt mich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht mehr wirklich.
Ungefähr zur Tea-Time spaziere ich mit meinem Rucksäcklein in Richtung Innenstadt, am Ohr ein Mobiltelefon, das gerade eine Verbindung zum Anschluss eines Hostels in Dublin hergestellt hat, um dort eine für den selben Abend via Hostelworld vorgenommene Reservierung auf meinen Namen zu stornieren. Im Wesentlichen sehe ich zu diesem Zeitpunkt zwei sich mir bietende Möglichkeiten, von denen eine außerordentlich unattraktiv wirkt - nämlich entweder mit dem nächsten Zug nach Hause zu fahren, oder - Möglichkeit 2 - irgendwo anders hin. In der Innenstadt angekommen finde ich mich relativ schnell im Reisezentrum des Bremer Hauptbahnhofs wieder. Die Frau auf der anderen Seite des Tresens hält mich vermutlich fur ziemlich bescheuert, als ich mich nach einer Nachtzugverbindung "egal wohin, Hauptsache nicht so teuer und Abfahrt noch heute abend" erkundige. Dennoch geht sie meinem Wunsch äußerst engagiert nach, kann mir allerdings weder nach München, noch nach Wien oder Paris etwas unter 200 EUR anbieten. Frustriert verlasse ich das Reisezentrum. Mein Blick fällt auf das strategisch günstig gegenüber des Ausgangs des Reisezentrums in der Bahnhofshalle positionierte Eurolines-Buro, das im Fenster einige in dieser Situation attraktiv erscheinende Aushänge präsentiert. Als ich es verlasse, bin ich um die Information reicher, dass am Abend noch ein Bus Richtung Amsterdam und einer gen Paris Bremen verlassen wird. Es wären ferner noch Tickets fur 60, respektive 90 EUR zu haben, so versicherte mir der Herr am Schreibtisch. Kurz darauf nehme ich zum ersten Mal im Leben die Dienste der Bahnhofsmission in Anspruch. Dies ermöglicht mir trotz aufgebrauchten Handy-Akkus und komplett im Münzfernsprecher des Flughafens verschwundenen Inhalt des Munzfaches meiner Geldbörse ein kurzes Telefonat mit einer Freundin. Die Leute von der Bahnhofsmission sind überaus nett und die Schnittchen lecker. Kurz vor Toresschluß druckt der nette Mann im Eurolines-Buro ein Busticket von Bremen nach Paris aus. aus einem Internet-Cafe in einem etwas anrüchigen Viertel in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofs buche ich kurz darauf für den folgenden Tag ein Hostel in Paris. außerdem vertreibe ich mir die Zeit bis Mitternacht mit etwas chatten, was sehr zur Belustigung und Verwirrung meiner mich gerade in Dublin gelandet wähnenden Chatpartner beiträgt. Gegen 23:30 Uhr finde ich mich am Bremer ZoB ein. Der Tag klingt einem kleinen Schlückchen sehr hochprozentigem Rum aus, den ich mir mit einem auf dem Weg nach Amsterdam befindlichen anderen Reisenden teile. Ca. eine Stunde später nicke ich irgendwo auf der A1 zwischen Bremen und Osnabruck ein. weiter...